Vier weitere Stolpersteine erinnern an das tragische Schicksal jüdischer Bürger
14 Jahre war Siegbert Maier alt, als er am 14. Juni 1942 neben seiner Mutter Else bewusstlos in der gemeinsamen Wohnung in Frankfurt gefunden wurde. Beide kamen ins lsraelitische Krankenhaus in der Gagernstraße. 36. Siegbert starb noch am selben Tag. Seine Mutter am Tag darauf – ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. „Selbstmord durch Schlafmittelvergiftung“ stellte der zuständige Polizeibeamte als Todesursache fest. Der Grund für die sei unbekannt, hieß es.
„Gedemütigt – Entrechtet – Flucht in den Tod“‚ steht auf den beiden Stolpersteinen, die jetzt vor dem Haus Am Thermalbad 10 (früher Taunusstraße) von Künstler Gunther Demnig in das Pflaster eingelassen wurden. ln diesem Haus wohnte die Familie in Bad Soden bis zuletzt.
Als Vater Hugo 1935 „aus unbekannter Ursache“ starb und die Judenverfolgung in der Nazi-Hochburg Bad Soden schlimmer wurde, zog Else mit ihrem an Kinderlähmung erkrankten Sohn 1936 nach Frankfurt in die Großstadt. Doch auch dort wurde das Leben für sie schwer. Das Vermögen der Familie wurde eingezogen und zwangsverwaltet. Es fehlte Else an Geld für das Nötigste. Sie durfte nur 300 Reichsmark pro Monat für den Lebensunterhalt abheben. Alles andere wie Schulgeld, Fahrgeld und Massagekosten für ihren kranken Sohn mussten extra beantragt werden. Ab Gerüchte über Deportationen von Juden im Juni 1941 bekannt wurden, wird sie für sich und ihren Sohn keinen Ausweg mehr gesehen haben.
Nicole und Rüdiger Brause von der AG Stolpersteine haben das Schicksal der Familie Maier recherchiert und die Patenschaft für die beiden Stolpersteine übernommen.
In einer kleinen beeindruckenden Feier, die Anna Seußler von der Eschborner Heinrich-von-Kleist-Schule auf der Geige begleitete, erinnerte eine Gruppe von Bad Sodenern an die Menschen, die hier einmal als geachtete Bürger gelebt haben.
Denn Elses Mutter, Therese Cohn, eine geborene Grünebaum, war in erster Ehe mit dem Bad Sodener Emil Scheuer verheiratet, der 1912 Selbstmord beging. Dessen Vater Julius war mit der „Julius Scheuer OHG“ und diversen Grundstücken ein vermögender Mann in der Stadt. Bis die Nazis die Firma, die mittlerweile von Schwiegersohn Abraham Cohn geführt wurde, 1938 in die Knie zwang. Das Unternehmen durfte nicht länger von Nicht-Juden beliefert werden. In der Reichspogromnacht am 10. November 1938 wurde die Wohnung der Cohns in der Alleestraße 24 demoliert. Dokumente wurden vernichtet, Möbel zerstört und aus dem Fenster geworfen, Wertgegenstände wie Schmuck, Silberzeug, Wäsche und Pelze gestohlen. Mit bewegter Stimme berichtet Rasa Vilgalys-Hiob von den grausamen Geschehnissen.
Die US-Bürgerin und Vorsitzende des Bad Sodener Ausländerbeirats hat sich mit dem Schicksal der Cohns befasst. Sie und ihr Mann Paul sind Paten der beiden Stolpersteine. Um die „Judenabgabe“ zu bezahlen, habe Abraham alle Grundstücke verkaufen müssen, erinnert Rasa. So gut wie mittellos sei er dann 1939 mit seiner Frau Therese nach Frankfurt gezogen, wo sie mit Tochter Else und Enkel Siegbert bis zu deren Tod 1942 in der Lersnerstraße gewohnt haben. Auf dem jüdischen Friedhof haben Therese und Abraham Cohn die beiden beerdigt. Doch auch ihr eigenes Schicksal sollte bald besiegelt sein. Am 1. September 1942 wurde die 62-jährige Therese mit der älteren Generation nach Theresienstadt deportiert. Abraham folgte ihr am 2. September nach. Im Konzentrationslager starb Abraham am 1. Juni 1943. Therese wurde am 6. März 1944 im KZ umgebracht. Zwei neue Stolpersteine auf dem Bürgersteig an der Treppe zum Haus Alleestraße 24 gedenken der Cohns.
Daneben hat Demnig zwei weitere Steine verlegt, die bis dato auf privatem Grund vor dem Haus Alleestraße 24 lagen. Im Sommer 2011 hatte der Enkel Paul Florsheim von Rosa und Markus Grünebaum verfügt, dass für das Paar, die 1941 im Ghetto Lodz starben, vor der Villa Aurora zwei Stolpersteine verlegt werden. Sein Urgroßvater Julius Scheuer hatte das Haus 1904 erbaut. Jetzt hat die Stolperstein AG im Einvernehmen mit dem Enkel die Verlegung der Steine auf öffentlichen Grund veranlasst.
Gerade in aktueller Zeit, da der Antisemitismus im Lande wieder zunehme, sei es wichtig, Signale wie diese zu setzen, hob Bürgermeister Frank Blasch in seiner Begrüßungsrede hervor. Mit der fünften Verlegung von Stolpersteinen in der Stadt werde nicht mehr über das „ob“ diskutiert, sondern es sei zur Selbstverständlichkeit geworden. „Jede Verlegung ist etwas Besonderes, die das Individuum in den Mittelpunkt rücken soll.“